Dynkin-System

Ein Dynkin-System (manchmal auch λ-System genannt) ist ein Begriff aus der Maßtheorie, einem Teilgebiet der Mathematik. Es ist benannt nach dem russischen Mathematiker Eugene Dynkin. Sie sind in Kombination mit dem Dynkinschen π-λ-Satz ein wichtiges Hilfsmittel zur Herleitung von Eindeutigkeitsaussagen in der Maßtheorie und Stochastik (siehe Maßeindeutigkeitssatz).

Definition

Eine Teilmenge D {\displaystyle {\mathcal {D}}} der Potenzmenge P ( Ω ) {\displaystyle {\mathcal {P}}(\Omega )} einer Grundmenge Ω {\displaystyle \Omega } heißt Dynkin-System über Ω {\displaystyle \Omega } , falls sie die folgenden Eigenschaften besitzt:[1]

  • Das System enthält die Grundmenge:
Ω D {\displaystyle \Omega \in {\mathcal {D}}} .
  • Das System ist abgeschlossen unter Bildung von Komplementen:
A D A c D {\displaystyle A\in {\mathcal {D}}\implies A^{c}\in {\mathcal {D}}} .
  • Das System ist abgeschlossen bezüglich abzählbarer Vereinigungen paarweise disjunkter Mengen:
{ A n } n N D {\displaystyle \{A_{n}\}_{n\in \mathbb {N} }\subset {\mathcal {D}}} disjunkt n N A n D {\displaystyle \implies \bigcup _{n\in \mathbb {N} }A_{n}\in {\mathcal {D}}}

δ-Operator

Beliebige Durchschnitte von Dynkin-Systemen über Ω {\displaystyle \Omega } ergeben wieder ein Dynkin-System. Ist daher E P ( Ω ) {\displaystyle {\mathcal {E}}\subseteq {\mathcal {P}}(\Omega )} ein Mengensystem, dann wird durch

δ ( E ) := E S S  Dynkin-System S . {\displaystyle \delta ({\mathcal {E}}):=\bigcap _{{\mathcal {E}}\subseteq {\mathcal {S}} \atop {\mathcal {S}}{\text{ Dynkin-System}}}{\mathcal {S}}.}

ein Dynkin-System δ ( E ) {\displaystyle \delta ({\mathcal {E}})} definiert, genannt das von E {\displaystyle {\mathcal {E}}} erzeugte Dynkin-System. Es ist das kleinste Dynkin-System, welches E {\displaystyle {\mathcal {E}}} enthält. E {\displaystyle {\mathcal {E}}} heißt Erzeuger von δ ( E ) {\displaystyle \delta ({\mathcal {E}})} .

Der δ-Operator ist ein Hüllenoperator. Teilweise wird er entsprechend der Namensgebung als λ {\displaystyle \lambda } -System auch als λ {\displaystyle \lambda } -Operator λ ( ) {\displaystyle \lambda (\cdot )} notiert. Weitere alternative Bezeichnungen sind d ( E ) {\displaystyle d({\mathcal {E}})} oder D ( E ) {\displaystyle {\mathcal {D}}({\mathcal {E}})} .

Das Dynkin-System-Argument

Mit Dynkin-Systemen lassen sich in vielen Fällen Aussagen über σ-Algebren relativ einfach beweisen. Sei α {\displaystyle \alpha } eine Aussage, die für Mengen A Ω {\displaystyle A\subseteq \Omega } entweder zutrifft oder nicht. Weiter sei Σ {\displaystyle \Sigma } eine σ-Algebra mit einem durchschnittsstabilen Erzeuger E {\displaystyle {\mathcal {E}}} , für dessen Elemente man α {\displaystyle \alpha } zeigen kann. Nach dem Prinzip der guten Mengen betrachtet man nun das Mengensystem D := { A Σ : A  erfüllt  α } {\displaystyle {\mathcal {D}}:=\{A\in \Sigma \colon A{\mbox{ erfüllt }}\alpha \}} und zeigt, dass es ein Dynkin-System ist. Dann folgt wegen der Durchschnittsstabilität von E {\displaystyle {\mathcal {E}}} einerseits δ ( E ) = σ ( E ) {\displaystyle \delta ({\mathcal {E}})=\sigma ({\mathcal {E}})} , andererseits gilt aber auch E D Σ {\displaystyle {\mathcal {E}}\subseteq {\mathcal {D}}\subseteq \Sigma } und damit wegen Σ = σ ( E ) = δ ( E ) D {\displaystyle \Sigma =\sigma ({\mathcal {E}})=\delta ({\mathcal {E}})\subseteq {\mathcal {D}}} schon Σ = D {\displaystyle \Sigma ={\mathcal {D}}} .

Die definierenden Eigenschaften eines Dynkin-Systems sind oft einfacher nachzuweisen, weil bei der Abgeschlossenheit gegenüber abzählbarer Vereinigung nur Folgen von paarweise disjunkten Einzelmengen betrachtet werden müssen, während bei σ-Algebren diese Zusatzeigenschaft nicht zur Verfügung steht.

Zusammenhang mit weiteren Mengensystemen

Hierarchie der in der Maßtheorie verwendeten Mengensysteme

σ-Algebren

Jede σ-Algebra ist immer auch ein Dynkin-System. Umgekehrt ist jedes durchschnittsstabile Dynkinsystem auch eine σ-Algebra. Ein Beispiel[2] für ein Dynkin-System, das keine σ-Algebra ist, ist

M = { , { 1 , 2 } , { 3 , 4 } , { 1 , 4 } , { 2 , 3 } , { 1 , 2 , 3 , 4 } } {\displaystyle {\mathcal {M}}=\{\emptyset ,\{1,2\},\{3,4\},\{1,4\},\{2,3\},\{1,2,3,4\}\}}

auf der Grundmenge Ω = { 1 , 2 , 3 , 4 } {\displaystyle \Omega =\{1,2,3,4\}} . Das Mengensystem ist ein Dynkin-System, aber keine Algebra (da nicht schnittstabil) und damit auch keine σ-Algebra.

Es gilt außerdem der dynkinsche π-λ-Satz: Ist E {\displaystyle {\mathcal {E}}} ein durchschnittsstabiles Mengensystem, so stimmen die von E {\displaystyle {\mathcal {E}}} erzeugte σ-Algebra und das von E {\displaystyle {\mathcal {E}}} erzeugte Dynkin-System überein.

Monotone Klassen

Dynkin-Systeme lassen sich auch über monotone Klassen definieren: Ein Mengensystem D {\displaystyle {\mathcal {D}}} ist genau dann ein Dynkin-System, wenn D {\displaystyle {\mathcal {D}}} eine monotone Klasse ist, welche die Obermenge Ω {\displaystyle \Omega } enthält und in der für beliebige Mengen A , B D {\displaystyle A,B\in {\mathcal {D}}} mit B A {\displaystyle B\subset A} auch A B D {\displaystyle A\setminus B\in {\mathcal {D}}} gilt.

Literatur

  • Christian Hesse: Angewandte Wahrscheinlichkeitstheorie. 1. Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2003, ISBN 3-528-03183-2, S. 20–21, doi:10.1007/978-3-663-01244-3. 
  • Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 6., korrigierte Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-89727-9, doi:10.1007/978-3-540-89728-6. 
  • Heinz Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 2., überarbeitete Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / New York 1992, ISBN 3-11-013626-0. 

Einzelnachweise

  1. Heinz Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 1992, ISBN 3-11-013626-0, S. 7, Def. 2.1. 
  2. Achim Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-36017-6, S. 4, doi:10.1007/978-3-642-36018-3.